Zu Grenzen stehen

In den nächsten Tagen tritt eine der bekanntesten Politikerinnen der Welt von der Politbühne ab: Jacinda Ardern, Premierministerin von Neuseeland. Weltweit gilt sie als Vorzeigemodell einer Powerfrau, die Karriere und Familie unter einen Hut bringt. Da tauchte dann auch mal ein Baby in der Uno-Vollversammlung oder im Parlament auf, für die selbstbewusste und empathische Politikerin die grösste Selbstverständlichkeit der Welt. Für eine ganze Generation junger Frauen war sie Vorbild und Inspiration. Und so oft wurde sie als Beweis herangeführt, dass sich Karriere sehr wohl mit Familiengründung kombinieren lässt.

Auch mich inspiriert Jacinda Ardern. Weniger wegen ihrer Karriere und ihrem Powerfrau-Image. Da lasse ich mich nicht blenden, zu sehr sehe ich hinter die Fassaden von Frauen und Müttern. Nein, vielmehr berührt mich ihre grosse innere Stärke, die sie bewiesen hat, als sie hingestanden ist und unter Tränen ihren Rücktritt verkündet hat: "Ich weiss, was man für diese Funktion braucht, und ich weiss, dass ich nicht mehr genug im Tank habe. So einfach ist das."

Ja, so einfach ist das. Aber es ist alles andere als einfach, die eigenen Ideale über Bord zu werfen und zu sagen: "Hey, es geht einfach nicht mehr." Vielleicht mag es sich als Scheitern anfühlen. Doch nein, das ist es nicht. Wie könnte es ein Scheitern sein, wenn Grenzen erkannt und kommuniziert werden? Wenn gewonnene Einsichten das Leben verändern? Wenn neue Wege klar werden? Wenn das Leben mit einem Rucksack voller Erfahrung weitergeht – in eine neue Richtung?

Genau darin wird mir Jacinda Ardern zum Vorbild: Authentisch hinstehen und Grenzen kommunizieren. Hinstehen und seinen eigenen Weg gehen. Hinstehen und ja, vielleicht auch Menschen enttäuschen. Hinstehen und zu sich stehen.

Genau da bin auch ich immer wieder gefordert, im Kleinen und im Grossen. Wie möchte ich doch am liebsten die Erwartungen aller Mitmenschen erfüllen. Niemanden enttäuschen. Und wie schnell bin ich dabei, meine Grenzen zu überschreiten. Die Starke zu spielen. Einer Perfektion nachzujagen, die ich gar nicht erreichen kann. Doch nein, ich darf mich sein. Echt. Und auch schwach. Ganz besonders bei dem einen Gott, der sagt: "Da, wo du schwach bist, da bin ich stark. Da, wo du nicht mehr kannst, da kann ich."

Doch ich kann nur zu meinen Grenzen stehen, wenn ich diese auch kenne. Ein gutes Gespür für meinen Energietank ist wichtig. Bin ich mit einem Auto unterwegs, muss ich auch wissen, wie viel Benzin noch im Tank ist. Denn ist dieser überraschend leer, sitze ich ziemlich in der Tinte. Als junge Frau und Mutter hatte ich kein besonders gutes Gespür für meinen Tank, für meine Grenzen und überhaupt für mich selber. Da habe ich dann auch mein "Auto" ziemlich an die Wand gefahren. Seither bin ich unterwegs. Schritt für Schritt habe ich gelernt, meine Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren und den Tank im Blick zu haben. Rechtzeitig zu tanken. Auch mal für einen Service anzuhalten. Und eben: Schwach sein zu dürfen. Und weisst du was? Das Auto rollt wieder. Meistens jedenfalls. Und wenn mal nicht, ist es auch nicht weiter schlimm. Aber eines ist geblieben: Ich bin immer noch unterwegs... lerne dazu... scheitere und entdecke Neues... Und du?

Ach ja, noch etwwas: Wenn dein Tank leer ist, dann hab den Mut hinzustehen und dazu zu stehen. Nur dann kann sich nämlich etwas bewegen und verändern... 

 


Das Bild ist übrigens nicht von heute. Ich habe es im Januar aufgenommen. Aber ich finde, es passt so gut zu diesem Thema... Es geht weder links noch rechts weiter, nur da durch und wenn ich diese Grenze akzeptiere, umfängt mich das Licht.

 


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