Der Sehnsuchtsmonat

Ich taufe den Dezember um. In einen Namen, der viel besser passt und mir auf Schritt und Tritt begegnet: Sehnsuchtsmonat. So viele Menschen haben Mühe mit diesen Wochen vor Weihnachten. Den einen ist der Rummel zu viel, sie sehnen sich nach Ruhe. Den anderen fehlt der Festtagsglanz, weil ihre Lebensumstände widrig sind. Sie sehnen sich nach Frieden. Wieder andere werden an Weihnachten schmerzlich an die Lücke in ihrem Leben erinnert. Sie sehnen sich nach lieben Menschen. Oder nach Zugehörigkeit. Nach Liebe. Hinter Einsamkeit steht Sehnsucht, Sehnsucht nach Zuwendung, Gesellschaft, Gesehen werden.

Weihnachten gilt als Fest der Liebe. Die Familie steht im Zentrum. Doch während wir unsere Freunde wählen können, haben wir uns bei der Familie zu arrangieren. Und oft treffen da Charaktere aufeinander, die sich gegenseitig nicht aussuchen würden - viel Zündstoff. Hinter dem Stress, der schon nur der Gedanke an die nächste Familienzusammenkunft auslöst, winkt die Sehnsucht nach Harmonie. Und die Sehnsucht nach Annahme und Verständnis, nach einem Platz in dieser Runde.

So oft höre und lese ich im Moment: "Ach, es will nicht mit der Adventszeit. Ich sehne mich so nach Besinnlichkeit, nach Stille und Zeit haben. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ich weiss kaum mehr, wo mir der Kopf steht." Ob es die vielen Erwartungen an diese Zeit und die Erfüllung von eigenen und fremden Ansprüchen sind, die diese Sehnsucht nach Besinnlichkeit und Ausrichtung aufs Wesentliche so intensiv zu Tage treten lassen? Oder warum entfaltet sich diese Sehnsucht gerade in der Weihnachtszeit so stark? Und wo ist sie sonst? Im Urlaub?

Sehnsucht bringt schmerzlich zum Ausdruck, was uns fehlt. Und gleichzeitig trägt sie die Botschaft: "Da muss doch noch so viel mehr sein!" Sehnsucht ist der Motor der Hoffnung. Und ich glaube, dass Sehnsucht – egal nach was – unser tiefstes Suchen nach dem Paradies und Gottes Vollkommenheit ist. So kann Sehnsucht unseren Hunger nach diesem "Mehr" nähren und treibt uns geradezu in die offenen Armen Gottes. Er ist das Ziel unserer Sehnsucht. Und der Tag wird kommen, da werden all unsere Sehnsüchte gestillt sein.

Was ist deine Sehnsucht? Ich ermutige dich, einen kurzen Moment inne zu halten. Mutig hinter den Schmerz und die Unzufriedenheit in dieser Zeit zu schauen. Und zu benennen, welche Sehnsucht dahinter steckt. Dann nimm diese Sehnsucht und halte sie Gott hin. Sprich sie aus. Benenne sie. Genau da ist sie gut aufgehoben. Die Jahreslosung 2023 passt so gut dazu: "Du bist ein Gott, der mich sieht." Gott sieht dich. Mitsamt deiner Sehnsucht. Er sieht deinen Mangel. Dein Sehnen nach mehr. Und er sagt dazu: "Ich weiss."

Und genau dies ist die Botschaft von Weihnachten: Gott ist Mensch geworden. Damit er sagen kann: "Ich weiss." Damit er uns ganz nah ist. Auch in unserer Sehnsucht. In all unseren Umständen, Schwierigkeiten und in unserem Mangel. Er braucht keine vorbereiteten Stuben. Keinen perfekten Zeitpunkt. Er kommt, mitten in unser Leben. Egal, was ist. Und es wird Weihnachten.


 

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