Selbstoptimierungswahnsinn

Bei mir hat der Tag 24 Stunden. Keine mehr und keine weniger. Irgendwie zu wenig, wenn ich mir die Liste anschaue, was da so alles reinpassen sollte. Es tönt alles ganz vernünftig und hilfreich. Und jeder einzelne Punkt sollte ich unbedingt verbessern:
  • Mindestens wöchentliche Qualitätszeiten mit jedem Kind einzeln - ganz elementar für die Beziehung.
  • Zeit für meinen Ehemann. Und die Woche besprechen zählt nicht.
  • Freundschaften – von nix kommt nix. Ohne Investition in Freundschaften stehst du schnell alleine da.
  • Sportliche Betätigung ist wichtig für die Gesundheit. Frische Luft auch. Am besten jeden Tag eine halbe Stunde mit Puls über was schon wieder? Beste Depressionsprophylaxe.
  • Ach ja, die Übungen für die Physiotherapie, tja, die müssen jeden Tag sein. Morgens und abends. Sonst brauchst du gar nicht erst zum nächsten Termin zu gehen.
  • Bauchmuskelübungen. No comment.
  • Möglichst viel frisch kochen. Frisch und gesund. Auf versteckten Zucker achten. So viel Grünfutter, dass sonst nichts mehr Platz hat, aber dann doch auch genügend Proteine. Auch die Fette sind nicht alle schlecht. Kohlenhydrate auch nicht. Einfach von diesem und jenem genug, und jenem und diesem nicht zu viel, aber dann doch wieder nicht übertreiben… und das Ganze sollte auch noch schmackhaft und familientauglich sein.
  • Abfall reduzieren. Möglichst viel selber machen. Kein Plastik essen, kein Aluminium-Deo brauchen und die Cervelats nicht zu lange bräteln, ist krebserregend.
  • Mindestens viermal in der Woche Singen üben. Wenn ich gesanglich dranbleiben will, zwingend nötig! Wenn nicht, höre ich mich sehr bald an wie eine krächzende Omi.
  • Mehr Zeit mit Gott verbringen. Nicht mal, weil ich muss, sondern weil ich genau weiss, dass es gut für mich ist, mir die Zeit zu nehmen, mein Herz mit IHM zu teilen und auf IHN zu hören.
  • Menschen für Jesus begeistern. Regelmässige Kontakte zu Menschen ausserhalb der Gemeinde pflegen und mein Licht weitergeben. Sonst stelle ich es ja unter den Scheffel.
  • Achtsam durchs Leben gehen. Mich wahrnehmen. Meine inneren Regungen wahrnehmen. Gott in meinem Leben wahrnehmen. Zuschauen, wie die Regentropfen in die Pfütze pflatschen und wie sich mein Atem mit mir selber (oder wie genau?) verbindet...
  • Mir Ruhepausen gönnen. Mir Zeit für mich nehmen. Auftanken. Das heisst einen Tag lang krampfhaft versuchen, nicht an die Arbeit zu denken.
  • Kreativ ein wohnliches Zuhause schaffen. Für jede Jahreszeit eine neue Deko vor die Türe stellen und nicht nur den Holzigel in den Keller schmeissen und dafür den Zwerg aufstellen.
  • Jede Woche ein bisschen putzen und waschen, damit wir nicht total im Chaos versinken. Nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein. Oder steter Lumpen putzt den Boden.
Okay. Die Liste ist noch nicht mal vollständig. Doch ich habe keine Lust auf weitere Punkte. Ganz nebenbei arbeite ich ein Pensum von 60 – 70 %, plus die ganze Familienarbeit. Mensch, unmöglich! Das sind alles ganz gute Sachen, von denen ich überzeugt bin (ausser vielleicht das mit den Cervelats und die Deko, dies hat für mich doch nicht ganz so eine hohe Priorität…). Aber es passt einfach nicht alles in meine 24 Stunden. Keine Ahnung wie das andere machen, ist auch Wurst, wie es bei denen geht, bei mir passt es einfach nicht. Und mich stresst dieser ganze Selbstoptimierungswahn. Der kann übrigens auch ganz fromm rüberkommen. Überall muss es noch mehr sein, noch besser. Hier noch was in die Alltagsroutine einbauen und da noch irgendwas optimieren. Dies und jenes wäre auch noch gut. Sorry, ich passe.

Unsere Welt ist gespickt voll mit Selbstoptimierungs-Tipps. Das Bild der Superwoman, die alles problemlos stemmt und dabei auch noch blendend aussieht, versucht sich hartnäckig in unserem Denken niederzulassen. Doch Superwoman ist nicht die Realität. Die Realität die Pizza aus dem Tiefkühler nach einem intensiven Arbeitstag. Zoff mit den Kindern. Schwabelbauch und Kurzatmigkeit beim ersten Hügel. Vernachlässigte Beziehungen, die hops gehen. Stossgebete im Alltagswahnsinn statt ganze «Stille-Tage». Schokolade zur Stressbewältigung. Ich glaube, das darf sein. Ich bin Mensch. Und habe 24 Stunden. Die Sehnsucht nach Perfektion, nach dem Paradies, kann hier auf Erden nicht gestillt werden.

Ich habe mir überlegt, was diesem Selbstoptimierungs-Stress entgegenwirkt. Gar nicht so einfach. Doch ich merke, wie es mich entlastet, diese ganzen Ansprüche – auch nach Perfektion - loszulassen. Die Punkte als «Nice-to-have» zu betrachten und nicht als «Must-have». Es ist egal, was ich alles tue, was ich schaffe und was nicht. Viel entscheidender ist, dass ich das, was ich tue, bewusst tue. Dass ich atme, Luft habe. Und ich spüre, wie eine Kraft darin liegt, Gott als meinen Begleiter ganz natürlich in meinen Alltag einzubeziehen. Ich glaube, das ist der einzige Punkt, in den es sich wirklich lohnt zu investieren: Nah an IHM zu sein. Seine Stimme hören zu lernen. Denn da werde ich automatisch Schritt für Schritt geführt in allem, was wirklich wichtig ist. Bei Gott darf ich einfach sein. Mich auf eine Bank in seiner Gegenwart setzen und von seiner Liebe bescheinen lassen. Ich bin angenommen. Ohne dass ich etwas leiste oder optimiere. Da darf ich tanken. Und kann dann auch wieder weitergehen – in diesem Licht. Ich verbringe dann Zeit mit meinen Teens, weil ich sie liebe und die Kraft habe, Liebe weiterzugeben. Ich gehe an die frische Luft, weil ich Wert erhalten habe und mich als wertvoll betrachte. Und ich beisse mit dankbarem Herzen in einen saftigen Apfel von unserem Apfelbaum. Es ist eine andere Perspektive: Ich tue etwas aus einem gefüllten Herzen heraus, statt dass ich etwas tue, um ein Ziel zu erreichen und erfüllt zu werden. Ja, ich glaube, die Perspektive macht den Unterschied.

Archivbild
 

Kommentare

  1. Hallo liebe Sula, dein Post trifft den Nagel auf den Kopf...und dein Fazit ist wunderbar. :-) Irgendwie ist dieses "must have" nur wie eine Klette, die mich immer mal wieder sticht und noch bin ich sie nicht ganz los... Liebe Grüsse, Maike

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    1. Hallo liebe Maike, schön, dich zu lesen! :-) Ja, da werden wir wohl ein Leben lang herausgefordert sein... Liebe Grüsse Sula

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  2. Hallo Sula, Leserin bei Sonjas Himmlisch geerdet!
    Der Salat, den du da hast, der sieht fantastisch aus, gibst du mir das Rezept? Macht mir gleich Pfützen auf der Zunge.
    Im übrigen wollte ich noch sagen, bei mir sieht es ganz ähnlich aus mit der Liste.
    Ne Freundin hat mal gesagt, "der Tag hat 24 Stunden und dann kommt ja noch die Nacht dazu", aber so hat Gott weder seine Welt noch uns geschaffen. (Sonst hätte es ja keinen siebten Tag gebraucht)
    Insofern, herzlichen Glückwunsch zu deinem Fazit!

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    1. Hallo Frau Vorgarten, schön, liest du hier! Leider habe ich dir kein Rezept. Dies ist nämlich ganz simpel ein lizenzfreies Archivbild und nicht von mir. Ich schreibe lieber, als dass ich fotografiere und so greife ich auch mal einfach zu einem Symbolbild, wenn ich gerade nichts anderes habe. Weil ich auch da beschlossen habe, dass Bilder ein "nice to have" und nicht ein "must have" sind ;-) Anders auf Insta, da sind alle Bilder von mir. Also stellst du dir den Salat am besten selber zusammen und ganz perfekt muss er ja nicht sein... ;-)
      Sula

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    2. Hallo Sula!
      Der November bringt was besonderes in den Vorgarten:
      https://vorgarten2969157.garden/2020/10/23/lovember-dein-november-2020/
      und du bist HERZlich eingeladen mitzumachen.
      Verlinke es gerne auch an andere Menschen, die ein bisschen SelbstAchtsamkeit, Augenmerk auf die kleinen Wunder und so weiter üben wollen.

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