Von extrovertierten und introvertierten Meisen

Ich habe von den beiden Kohlmeisen im Zwetschgenbaum geschrieben. Doch da wäre noch mehr zu erzählen: Die beiden Kohlmeisen haben Nachbarn. Das Blaumeisen-Pärchen in der Birke gleich nebenan. Diese leben zurückgezogener und unauffälliger. Aber ihr Leben ist nicht weniger faszinierend. Sie sind nicht so laut wie die Kohlmeisen. Bestimmt ist es aus Rücksicht, dass sie ihr Lied nicht am Morgen vor dem Schlafzimmerfenster trällern. Eifrig haben sie das Nestchen im Häuschen ausgepolstert. Bestimmt liegen nun schon Eier darin, die pflichtbewusst ausgebrütet werden. Geschickt geht das Pärchen vor. Katzen und Raubvögel sind wohl noch kaum auf die beiden fleissigen Schaffer aufmerksam geworden.

Das erinnert mich an uns Menschen. An unterschiedliche Persönlichkeitstypen. An extrovertierte und introvertierte Personen. Die einen stehen gerne im Vordergrund. Wie die laut zwitschernden Kohlmeisen. Die andern suchen eher das Verborgene. Die einen sind unüberhörbar. Die andern werden nur gehört, wenn sich jemand die Mühe macht, genau hinzuhören. Das Leben der Extrovertierten ist auf den ersten Blick bunter, praller. Dafür ist das Risiko, in Schwierigkeiten zu laufen höher. Auf den ersten Blick erscheinen die einen stark und widerstandsfähig. Die andern vielleicht eher zerbrechlich. Doch kommt die Bewährungsprobe, so spielen die Leisen ihre unsichtbaren Trümpfe auf. Und beweisen, dass Stärke im Verborgenen wächst. Dass sie ihre Aufgaben aktiv bewältigen. Dass sie ihre Berufung leben. Und damit diese Welt reicher machen.


Das die Theorie. In der Praxis ist es manchmal echt besch… (…eiden) introvertiert zu sein. Wie leicht fühle ich mich unsichtbar. Isoliert. Minderwertig. Exotisch. Überfordert von der lauten Welt. Und den Ansprüchen der fordernden Gesellschaft. Diese Welt fragt oft nicht nach leisen Tönen. Oder nach durchdachten Gedanken. Sie schreit vielmehr nach Spontanität. Nach Durchsetzungsvermögen. Nach Teamgeist. Nach Power und „Hans-Dampf-in-allen-Gassen“. Da kann ich nicht mithalten. Manchmal ist es ein einsamer Weg. Weil wenige den Weg in meine Welt finden. Weil wenige sich die Mühe machen, mein Herz zu suchen. Doch ich weiss, wo mein Nest ist. Gebe nicht auf. Und manchmal, ja, manchmal, gibt es Tage, da spüre ich die Sonnenstrahlen auf meinen Flügeln. Himmlische Lichtstrahlen fallen auf mich und lassen mein Herz froh werden. Froh, weil ich spüre, es ist gut so. So wie es ist. Ich bin richtig. Hier bin ich zu Hause. Hier ist meine Berufung. Da in meinem Blaumeisen-Nest.

 Eine junge Blaumeise im Sommer 2018
 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Rückblick 2023

Zu Grenzen stehen

Stressabbau durch Winterzauber