Von Siegern und Verlierern

Die Leichtathletik-WM. Das war ein Grossanlass, für den sich die ganze Familie begeistern konnte. Wie gut, dass noch Ferien waren. Wann immer möglich, haben wir uns vor den PC gesetzt und die eine oder andere Disziplin live mitverfolgt. Da haben Champions gejubelt. Verlierer geweint. Die einen bejubelten ihre Bronzemedaille, andere weinten enttäuscht über Silber. Emotionen pur. Und sie lassen mich nicht mehr los. In Gedanken bewege ich die Geschichten weiter.

Da sind zum einen die Gewinner. Sie werden gefeiert und bejubelt. Sie sind glücklich und saugen den Moment auf. Tausende von Menschen sehen auf ihre Leistung, auf ihren Erfolg. Es ist alles, was zählt. Doch was war vorher? Wie oft hat ein Athlet verloren, bis er siegt? Wie viele Niederlagen hat er eingesteckt? Wie oft war er am Abend eines langen Tages am Boden zerstört? Auf der Ehrenrunde zählen diese Momente nicht. Da gibt es nur Sieg. Und doch ist der Sieg nur, weil auch Kampf war. Jubel ist nur, weil auch Tränen waren. Es ist nicht nur Sieg, es waren auch Niederlagen. Bei jedem einzelnen. Diese Niederlagen formten Stärke. Wille. Und die Fähigkeit, sich unbändig über Erfolg zu freuen.

Wie gerne würde ich ins Denken der Athleten auf dem Treppchen sehen. Was ist ihre Motivation? Lieben sie einfach ihren Sport und haben Spass daran? Oder laufen und springen sie, weil sie diese Anerkennung brauchen? Muss es immer höher, immer schneller sein, damit sie auch auf der Beliebtheitsskala immer weiter nach oben klettern? Gibt es Athleten oder Athletinnen, die in einer Sucht nach Liebe und Anerkennung gefangen sind? Die davon leben, bejubelt und vom Publikum geliebt zu werden?

Es ist wie überall im Sport. Berichtet wird über die Gewinner. Fans haben nur Augen für sie. Alles dreht sich um sie. Der Jubel gilt ihnen. Doch was ist mit den andern? Sie bleiben enttäuscht zurück. Niemand interessiert sich für sie. Und sie sind so viel zahlreicher als die Bejubelten. Vielleicht braucht ein Journalist mal noch einen Lückenbüsser, bis die Champions endlich zum Interview kommen. Und interviewt deshalb doch noch einen Verlierer. Dieser hat nur eine Antwort: „Ich richte alles auf den nächsten Grossanlass aus. Da werde ich es wieder versuchen.“ Und so sind die nächsten Monate wieder getaktet. Alles richtet sich darauf aus, zuoberst zu stehen. Zu jubeln. Seine Enttäuschung betäubt er mit noch härterer Arbeit.

Doch es gibt auch die stillen Sieger. Kaum einer wird auf sie aufmerksam. Wie der Mann im 10‘000 m-(oder waren es 5000?) Lauf. Er wurde von Mo Farah und seinen schnellen Verfolgern zweimal überrundet! Trotzdem lief er persönliche Bestleistung. Er liess sich nicht beirren. Lief sein Tempo und freute sich über seinen ganz persönlichen Erfolg. Es war ihm nicht wichtig, dass er mit Abstand der Letzte war. Es war ihm nicht wichtig, was die Leute dachten. Für ihn zählte nur, dass er alles gab. Dass er sein ganz persönliches Ziel erreichte: Eine gute Leistung an der WM 2017!

In jedem einzelnen Punkt gibt es Parallelen zu meinem und deinem Leben. Zählen nur die erfolgreichen Momente? Braucht es nicht dazu auch die Kämpfe, die Niederlagen? Sie machen mich stärker. Sie lassen mich wachsen. Und sie tragen dazu bei, dass ich mich über die glücklichen Tage freuen kann. Diese „Bewährungstage“ sind so viel zahlreicher. Doch ich darf wissen: Gott ist immer am Werk! Und eines Tages werde ich Resultate sehen.

Mit welcher Motivation gehe ich durchs Leben? Bin ich abhängig von dem, was andere über mich denken? Suche ich die Liebe und Aufmerksamkeit meiner Mitmenschen? Tue ich das, was ich tue, um andern zu gefallen? Oder weiss ich, wer ich bin, egal was andere über mich sagen oder denken? Bin ich gefangen in Leistung und Perfektion? Muss ich immer besser, immer schneller sein? Muss ich gar die Beste sein? Es lohnt sich, die eigenen Motive immer wieder zu überprüfen. Und wenn nötig zu korrigieren. Mich darauf zu besinnen, dass Gott Wert gibt. Ein Wert, der unabhängig von Leistung ist. Unabhängig davon, wie andere mich finden. Ich muss mich nicht beweisen. Ich bin geliebt, so oder so. Was für eine gute Nachricht!

Sehe ich nur die Gewinner? Lasse ich mich blenden von Menschen, die es verstehen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Von Menschen, die sichtbaren Erfolg haben? Oder habe ich auch die unscheinbaren im Blick? Menschen, die Niederlagen zu verdauen haben. Kämpfen. Oder ganz im Hintergrund ihren eigenen Weg gehen. Bei diesen Menschen finde ich die Geschichten, die das wirkliche Leben schreibt. Geschichten, die Mut machen. Erstaunlich, oder? Nicht die grossen Erfolgsgeschichten machen uns Mut. Nein, vielmehr die Geschichten von Menschen mit Hochs und Tiefs, von Menschen wie Du und Ich, die nicht aufgegeben haben und immer weiter laufen. Auf das Ziel zu.


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